Der verlorene Himmelsschlüssel

Der verlorene Himmelsschlüssel
Petrus war gerade aus seiner Himmelspforte herausgetreten und betrachtete mit zufriedenen Augen seinen frisch geputzten Himmelsschlüssel. Ein kleiner Engel hatte ihn eben abgeliefert und stand nun da und guckte, wie der Heilige Petrus versuchte, den Schlüssel für das himmlische Hauptportal in das große Schlüsselbund zu zwängen. So sehr er auch drückte und stemmte, es wollte ihm nicht gelingen und als ihm der kleine Engel dabei helfen wollte, sprang ihm plötzlich der Schlüssel aus der Hand und flog in hohem Bogen durch die Wolken hinab auf die Erde. Petrus erstarrte vor Schreck und auch der kleine Engel blickte fassungslos hinterher. Der Schlüssel war fort und ausgerechnet heute, wo das Christkind gegen Mitternacht von der Kinderbescherung auf der Erde zurückerwartet wurde. Wenn es dann vor dem verschlossenen Portal stand und die heilige Christmette versäumte? Was war jetzt zu tun?

Mit seinem Fernrohr versuchte er den Platz zu finden, wo der Schlüssel auf die Erde niedergefallen war. Dann lief er nach der Himmelsleiter, lehnte sie an den Pfeiler des Himmelstores und stieg, so schnell es seine Kutte zuließ, hinab. Den kleinen Engel ließ er als Wache zurück. Endlich war er auf der Erde. Eine weite, schneebedeckte Ebene umgab ihn, Pappeln, ein großer Fluß, Weidengebüsch und ein großer, einsamer Bauernhof lag vor ihm in der leicht nebligen Luft. Aber von Bergen keine Spur! Dabei hatte er doch genau durch’s Himmelsfernrohr erkennen können, dass der Schlüssel in ein tiefes Tal gefallen war. Verflixt, er musste in der Eile die Leiter vollkommen falsch aufgestellt haben.

Recht niedergeschlagen machte er sich auf den Weg. Von weitem sah er Türme und immer mehr Häuser am Horizont auftauchen, die Straße wurde belebter und die Menschen zahlreicher. Er hatte eine kleine Stadt erreicht. Die Menschen eilten von Geschäft zu Geschäft, manche kauften im letzten Moment auch noch einen Weihnachtsbaum. Niemand achtete auf den Heiligen Petrus, der verständnislos und enttäuscht auf dieses Gedränge starrte. So begingen die Menschen den Weihnachtstag? In einer solchen Hetze? Doch Petrus musste weiter. Schließlich galt es, den großen Himmelsschlüssel wiederzufinden. Er verließ eilends die Stadt. Vor ihm lagen wieder unendlich weite, freie Felder, unterbrochen von ein paar großen Bäumen, Gebüsch und einsamen Höfen. Doch da – ganz hinten am Horizont – zeichnete sich dort nicht eine Gebirgskette ab oder waren es nur tiefliegende Wolken? Dass er auch seine Brille im Himmel vergessen hatte!

Er schlug sofort diese Richtung ein. Seine Würde erlaubte ihm keine allzu große Hast, so kam er nur langsam auf der öden, schneebedeckten Landstraße vorwärts. Schon wurde es Abend und bis Mitternacht musste er wieder

mit dem Schlüssel im Himmel sein. Beim Näherkommen stellte sich heraus, dass er wirklich ein Gebirge erreicht hatte, was dem Heiligen Petrus einen Erleichterungsseufzer entlockte. Nun musste ihn ein guter Stern nur noch die richtige Stelle finden lassen. Bald gelangte er in ein Tal, aber so eng und schmal und klein, wie er es oben, vom Himmel her gesehen hatte, war das Tal nicht.

Den armen Petrus überkam große Verzweiflung und Mutlosigkeit. Wenn er wenigstens sein Fernrohr bei sich gehabt hätte, aber so verbargen die dichten Wälder den leuchtenden Schein des Himmelsschlüssels und Petrus konnte zwischen den hohen, dunklen Tannen sich nicht einmal nach dem hellen Licht der Sterne richten. Da tönte Gesang an sein Ohr, „Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Von den feierlichen Klängen angezogen, gelangte der Heilige Petrus zu einer kleinen Kapelle, deren Fenster in goldenem Licht strahlten. Er trat ein, Wärme und Kerzenschimmer strömten ihm entgegen. Alt und jung, groß und klein, die ganze Berggemeinde hatte sich zur Andacht in der Kapelle zusammengefunden, vor jedem brannte eine Kerze.

Diese innige, weihnachtliche Andacht, die ergreifende Einfachheit bewegte den Heiligen Petrus, der sein Bild von den Menschen nun wieder zurechtgerückt sah. Fast vergaß er, warum er eigentlich auf die Erde herabgestiegen war. Der Glockenschlag der kleinen Kapelle brachte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück, und schnell eilte er hinaus in die kalte Winternacht, um weiter nach dem Himmelsschlüssel zu suchen. Schwer atmend stapfte er einen steilen Waldweg hinauf, da – leuchtete da nicht etwas hinter dem Heuschober? Ja, doch, ein heller Schein – es war sein Schlüssel, der Himmelsschlüssel! Liebevoll drückte ihn Petrus an sich und versenkte ihn dann sorgfältig in seiner Kuttentasche und eilte aus dem Tal hinaus. Fast wäre er an einen Holzstamm gestoßen, der plötzlich in der Dunkelheit vor ihm auftauchte. Aber war das nicht die Himmelsleiter, wie kam die denn hierher? Er hatte doch nicht einmal wieder die kleine Stadt erreicht.

Er stieg die lange Leiter hinauf und ganz oben vor dem großen, leuchtenden Himmelsportal fand er ein lachendes Christkind, das schon seit einiger Zeit von der Erde zurückgekehrt war. Durch den kleinen Wachengel hatte es das Missgeschick erfahren. Es hatte mit dem Fernrohr die Erde nach dem leuchtenden Himmelsschlüssel abgesucht und ihn auch bald entdeckt. Als das Christkind merkte, dass die Leiter ganz schräg stand und in großer Entfernung von dem Tal hinunterführte, rückte es mit Hilfe des kleinen Engels die Leiter zurecht. Die Himmelschöre stimmten gerade ihr jubelndes Halleluja an, als sich das Christkind, der Heilige Petrus und der kleine Engel auf ihre rotsamtenen Stühle setzten.

Autor: unbekannt

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